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Das Tetralemma: Eine systemische Methode für komplexe Entscheidungsprozesse

  • Autorenbild: simonedgarcia
    simonedgarcia
  • 22. Sept. 2024
  • 3 Min. Lesezeit

In der systemischen Beratung und im Coaching gibt es viele Methoden, um mit komplexen Fragestellungen umzugehen. Eine besonders wirkungsvolle Technik ist das Tetralemma. Es stammt ursprünglich aus der indischen Philosophie und wurde von der Systemischen Therapie und Aufstellungsarbeit übernommen. Diese Methode hilft dabei, in Entscheidungsprozessen neue Perspektiven zu gewinnen und scheinbar festgefahrene Situationen aufzulösen.


Was ist das Tetralemma?

Das Tetralemma ist ein Entscheidungsmodell, das vor allem in Situationen angewendet wird, in denen es scheinbar nur zwei gegensätzliche Positionen gibt. Typischerweise sieht man die Welt in solchen Momenten in Schwarz und Weiß, als ein Entweder-Oder. Das Tetralemma erweitert dieses Entweder-Oder um zwei weitere Optionen und eröffnet dadurch neue Sichtweisen.

Im Zentrum stehen vier Positionen:

  1. Das Eine (z. B. Position A)

  2. Das Andere (z. B. Position B)

  3. Beides (eine Kombination von A und B)

  4. Keines von Beidem (weder A noch B)


Zusätzlich kann das Modell um eine fünfte Position erweitert werden, die oft als "Alles Mögliche" oder "Das, was jenseits von A und B liegt" bezeichnet wird. Diese Position öffnet den Raum für völlig neue, kreative Lösungsansätze, die vorher nicht in Betracht gezogen wurden.






Der Ablauf eines Tetralemma-Prozesses

Ein Tetralemma-Prozess wird in der systemischen Beratung oft räumlich durch eine Aufstellung verdeutlicht. Dabei stehen die vier Grundpositionen und die fünfte erweiterte Option symbolisch für verschiedene Standpunkte, die der Klient im Raum einnimmt, um aus der jeweiligen Perspektive neue Einsichten zu gewinnen. Dabei werden die verschiedenen Positionen nacheinander eingenommen und reflektiert.

  1. Das Eine: Was spricht dafür, sich für Position A zu entscheiden? Welche Argumente und Gefühle stehen hinter dieser Wahl?

  2. Das Andere: Was spricht für Position B? Welche Vor- und Nachteile gibt es hier?

  3. Beides: Gibt es eine Möglichkeit, Position A und B zu kombinieren? Wie würde eine Lösung aussehen, die beide Aspekte vereint?

  4. Keines von Beidem: Was wäre, wenn weder A noch B die richtige Lösung wäre? Welche weiteren Möglichkeiten gibt es, die bisher nicht in Betracht gezogen wurden?

  5. Das, was jenseits von A und B liegt: Was würde passieren, wenn man die bisherigen Denkmuster und Kategorien völlig hinter sich lässt? Welche völlig neuen Ansätze könnten sich daraus ergeben?


Beispiel aus der Praxis: Jobwechsel oder Selbstständigkeit?

Stellen wir uns vor, Anna steht vor einer schwierigen beruflichen Entscheidung: Soll sie in ihrem sicheren Job bleiben (Position A) oder den Sprung in die Selbstständigkeit wagen (Position B)? Sie fühlt sich hin- und hergerissen, da beide Optionen Vor- und Nachteile haben.

  1. Das Eine (A – Im Job bleiben): Anna nimmt diese Position ein und denkt darüber nach, warum es sinnvoll wäre, in ihrem Job zu bleiben. Die Sicherheit, die feste Einkommensquelle und die stabilen Arbeitsbedingungen sprechen dafür. Allerdings fühlt sie sich gleichzeitig unzufrieden und hat das Gefühl, dass sie sich beruflich nicht weiterentwickeln kann.

  2. Das Andere (B – Selbstständigkeit): Nun stellt sie sich die Selbstständigkeit vor. Sie wäre frei und könnte ihre eigenen Ideen umsetzen. Aber es gibt auch Unsicherheiten: finanzielle Risiken, fehlende Routine und der hohe Arbeitsaufwand machen ihr Sorgen.

  3. Beides (Job und Selbstständigkeit kombinieren): In der nächsten Position fragt sie sich, ob es eine Möglichkeit gibt, beides zu kombinieren. Vielleicht könnte sie ihren aktuellen Job reduzieren und nebenbei in Teilzeit ein eigenes Projekt aufbauen? Diese Option könnte ihr die nötige Sicherheit geben, um den Übergang in die Selbstständigkeit Schritt für Schritt zu gestalten.

  4. Keines von Beidem: Anna überlegt, ob weder die Festanstellung noch die Selbstständigkeit die richtige Lösung ist. Könnte es sein, dass sie ganz andere berufliche Optionen in Betracht ziehen sollte? Vielleicht eine Weiterbildung, die ihr neue Perspektiven in ihrem aktuellen Job eröffnet? Oder eine ganz neue Karriere außerhalb dieser beiden Alternativen?

  5. Das, was jenseits von A und B liegt: Schließlich öffnet sie sich für die fünfte Position. In dieser Perspektive lässt sie beide bisherigen Denkansätze los und fragt sich: „Welche völlig neuen Möglichkeiten könnte es geben, die ich noch nicht in Betracht gezogen habe?“ Hier kommt ihr die Idee, sich als Teil eines Netzwerkes selbstständiger Berater anzuschließen, wodurch sie sowohl Unabhängigkeit als auch Unterstützung erfahren könnte.


Fazit: Das Tetralemma als kraftvolles Werkzeug

Das Tetralemma hilft, festgefahrene Entscheidungsprozesse zu öffnen und neue, ungeahnte Perspektiven zu entdecken. Es eignet sich nicht nur für individuelle Entscheidungen, sondern auch für Teamprozesse, Konfliktlösungen und strategische Überlegungen in Unternehmen.

In Situationen, in denen es nur zwei scheinbare Optionen gibt, erweitert das Tetralemma den Horizont und bringt überraschend kreative Lösungsansätze hervor. Wer auf der Suche nach einer Methode ist, um festgefahrene Denkmuster zu durchbrechen, findet im Tetralemma eine wirkungsvolle systemische Methode.

 
 
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